Carl von Marr

Anbetung Christi
Lot ID
Lotto 43
Artist
Carl von Marr
Additional Description
Öl auf Leinwand (doubliert). 198,5 x 204 cm. Signiert im Unterrand rechts. Wohl im Originalrahmen.
Period
(1858 Milwaukee - München 1936)
Technique
Gemälde
Provenance
Aus dem Besitz der Nachfahren des Künstlers;Privatbesitz, Deutschland. .
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Descrizione
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war München zu einer der faszinierendsten Kunstmetropolen Europas aufgestiegen, wo Maler wie Wilhelm Leibl, später der Malerfürst Franz von Lenbach oder Franz von Stuck auch international Aufmerksamkeit erregten. Münchens Ruf als prosperierende Kunststadt erreichte damals auch Amerika, wo es von vielen als „a kind of teutonic Florence“ angesehen wurde. Seit den 1850er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg hatten sich über 400 Amerikaner dazu entschlossen, ihr Studium an der Münchner Akademie aufzunehmen – die bekanntesten sind vielleicht William Merritt Chase und Frank Duveneck, die bereits in den 1870er Jahren an der Akademie studierten und in ihrer Malerei stark von Leibl beeinflusst wurden. 1877 war der deutschstämmige, in Minneapolis beheimatete Carl Marr nach Stationen in Weimar und Berlin an die Münchner Akademie gekommen; im Gegensatz zu Chase und Duveneck kehrte er nicht nach Amerika zurück, sondern etablierte sich in München rasch als Genre- und Historienmaler. Zum künstlerischen Durchbruch verhalf Marr sein „riesenhaftes Geschichtsbild“ von den Flagellanten, die eine Prozession mittelalterlicher Geißelbrüder durch eine oberitalienische Stadt zeigen. Marr hatte das wahrhaft monumentale Gemälde – es misst 420 x 790 cm – 1889 im Glaspalast gezeigt, wo es großes Aufsehen erregt hatte, weil es Marr gelungen war – wie der Kritiker Fritz von Ostini berichtete – das veraltete Genre der Historie mit den neuen Mitteln der Zeit, mit seinem malerischen Pleinair-Stil, wieder neu zu beleben. Sein schonungsloser Naturalismus überwältigte den Betrachter angesichts nahezu lebensgroßer Gestalten. Beeindrucken sollten auch Marrs mythologische und religiöse Sujets, denen er sich um die Jahrhundertwende zuwandte – unsere Anbetung des Kindes ist eine große barocke Inszenierung voller Licht und Pathos, die Marrs Vertrautheit mit den Alten Meistern zeigt und Erinnerungen an holländische Gruppenbilder, etwa an Rembrandt weckt. Eine geheimnisvolle, warme Lichtstimmung breitet sich über das Geschehen aus, das Marr auf der rechten Seite ausbreitet: Dort erscheint in hellem Licht, spotlightartig herausgeleuchtet Maria vor dem Jesuskind kniend, umgeben von Engeln, die vor dem Wunder verharren, es aber nicht begreifen. Die bewundernden Kinderengel wecken die Empathie des Betrachters, sollen ein Mitfühlen auslösen genauso wie die Gruppe der Frauen links, die sich auf das Christuskind zubewegen. Über ihnen steigt ein endloser Engelsreigen vom goldbraunen Himmel herab, Marr kontrastiert Leere und Fülle, hell und dunkel – es ist eine Dynamisierung der Massen, in der Himmel und Erde regelrecht in Bewegung geraten. Und dies wird alles in einem pastosen, malerisch locker gefügten Pleinairismus vorgetragen, der den Betrachter überwältigen soll. Kurz vor der Jahrhundertwende hatte Marr bereits eine monumentale Anbetung des Jesuskindes gemalt, die sich heute im Museum of Wisconsin Art in West Bend befindet, das die weltweit größte Sammlung von Gemälden Marrs verwahrt. Von dem Gemälde dort hat Marr die Grundkomposition der Anbetung übernommen, doch hat er auf unserem Gemälde en grisaille Christus am Kreuz mit einem goldenen Strahlenkranz eingefügt – gesehen wird er allerdings nur von Maria und dem hl. Antonius von Padua, der in Anbetung verharrt. So präfiguriert unser Gemälde in der Geburt Jesu bereits dessen Leidensgeschichte, bekommt die Inszenierung in einer Zeit latenter Verunsicherung etwas tiefgründig Metaphysisches. Dr. Peter Prange